Bolivien und Uruguay
Vom Altiplano Boliviens zur Pampa Uruguays
- Teil 2 von Sucre bis Arica -
Tag 12 – Sucre
Die weiße Stadt
Der Beiname „weiße Stadt“ begegnet mir in Südamerika nicht das erste Mal. Auch Sucre trägt diesen Beinamen. Unsere beiden bisherigen Guides, beide aus Sucre stammend, kommen aus dem Schwärmen nicht mehr heraus, wenn von der im Departamento Chuquisaca gelegenen Hauptstadt Boliviens die Sprache ist. All das schürt natürlich hohe Erwartungen, als wir vier uns am Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück auf den Weg Richtung La Recoleta machen. Während unserer beiden Tage in der Stadt sind wir ohne Begleitung unterwegs. Da ich unsere Unterkunft direkt im Zentrum gewählt habe, werden wir sehr gut ohne fahrbaren Untersatz zurechtkommen, auch wenn wir gerade alle ein wenig schnauben, während wir uns die steilen Wege bergauf schleppen. Die etwa 2.800 Höhenmeter machen sich dann doch bemerkbar.
Sucre wurde im Jahr 1540 von Pedro Anzúrez unter dem Namen Villa de la Plata de la Nuevo Toledo gegründet. Genutzt wurde aber zumeist die Kurzform La Plata. Der Begriff Plata, der übersetzt „Silber“ bedeutet, war seinerzeit äußerst passend. Die Stadt befindet sich 155 Kilometer entfernt von der seinerzeit reichsten Stadt der Welt, Potosí, kann aber mit einem ungleich besseren Klima aufwarten, da 1.200 Höhenmeter tiefer gelegen.
Sucre hat etwa 240.000 Einwohner und ist die konstitutionelle Hauptstadt Boliviens. Der oberste Gerichtshofs des Landes hat in der weißen Stadt seinen Sitz. Darüber hinaus ist die Stadt für Schokolade bekannt, die wir selbstverständlich verköstigen wollen. Auch wenn man es denken könnte, hat der Name der Stadt nichts mit süß oder Zucker zu tun. Der Namenswechsel von La Plata nach Sucre wurde im Jahr 1839 vollzogen. Namensgeber war der Revolutionär Antonio José de Sucre. Zucker heißt auf Spanisch Azúcar.
Auf dem Platz rund um den Templo y Museo de la Recoleta finden umfangreiche Bauarbeiten statt. Nichtsdestotrotz hat mich diese Stadt bereits schon jetzt gefangen genommen. Das angeschlossene Museum hat leider geschlossen, wir können uns lediglich den Vorraum anschauen, in dem verschiedene Produkte zum Kauf angeboten werden und eines der Hochlandmotive auf dem Webstuhl Kontur annimmt.
Auf der Terrasse der Casa Kolping gönnen wir uns ein Getränk und genießen die Aussicht über die weiße Stadt, bevor wir uns – nun weniger schnaubend – hinunter ins Zentrum begeben.
Auffallend sind die vielen, zumeist, aber nicht wenig überraschend, in Weiß gehaltenen Kirchen. Im erhöht angelegten Bereich der San Lazaro Kirche, bei der es sich um die älteste Kirche der Stadt handelt, befindet sich in einem Nebengebäude eine Kapelle. Auf dem Plateau stehen Palmen.
Andere, nicht weniger schöne Kirchen stehen wiederum an Straßenecken, wie das Convento Santa Teresa.
Wir schlendern den Tag durch die Stadt, genießen das Flair, die Sauberkeit, die Freundlichkeit der Menschen, staunen über die vielen kreuz und quer führenden Leitungen und begegnen so gut wie keinen weiteren Touristen. Der erstandenen Schokolade von Chocolate Para Tí ist leider keine lange Lebensdauer vergönnt, sie ist einfach zu köstlich.
Tag 13 – Sucre
Ein Alptraum für Elektriker – oder doch eher das Paradies?
Nach dem gestrigen Rundgang und dem ganzen Kabelsalat, den wir in dieser Stadt gesehen haben, frage ich mich allen Ernstes, was diese Stadt für einen Elektriker bedeuten mag. Ist es ein Alptraum, wie ich eher annehmen würde, oder vielleicht doch das Paradies, weil nur eine Fachkraft mit dem entsprechenden Wissen hier noch durchblickt? Diese Frage wird wohl unbeantwortet bleiben.
Unser erstes Ziel am Morgen ist das Textilmuseum, das sich in einem schönen Kolonialgebäude mit dem typischen Innenhof befindet. Ein Führer erklärt uns das eine oder andere zu den Ausstellungsstücken, die eng mit den Musikinstrumenten, die ebenfalls hier einen Platz gefunden haben, verbunden sind, werden diese doch gerade gemeinsam bei Festlichkeiten, nicht selten zu Ehren von Pachamama, der Mutter Erde, zum Einsatz gebracht.
Wir laufen weiter in den Westen der Stadt, genießen die Zeit in einem Park, schauen den Menschen und den Händlern mit ihren kleinen Wagen zu. Obwohl die Stadt im Zentrum dieses besondere Flair versprüht, ist dennoch nicht zu übersehen, dass auch hier das Leben für viele kein Zuckerschlecken zu sein scheint. Nicht selten versuchen die Verkäuferinnen mit mehr als übersichtlichen Produkten einen Umsatz zu tätigen und sehr oft sehen wir diese Frauen, wie sie ihre kleinen Kinder dabei haben, mal sitzen sie in den kleinen Verkaufswagen, mal daneben.
Unser Hotel ist in einem Kolonialbau aus dem 19. Jahrhundert untergebracht. Es gibt einen Patio Azul, einen Patio Amarillo und einen Patio Rojo. Es wurde bei der Restaurierung darauf geachtet, so viel wie möglich im Original zu erhalten. Man kann sich regelrecht in all den Innenhöfen, Gängen und kleinen Freiluftterrassen verlaufen, was uns auch mehrere Male passiert. Alleine hier verbringe ich eine ganze Weile damit, Fotos zu machen.
Der Clou des Paradors Santa Maria La Real ist jedoch die weitläufige Dachterrasse, von der wir einen wunderschönen Blick über die Dächer Sucres haben. Besonders stimmungsvoll ist es kurz vor Sonnenuntergang.
Morgen werden wir Sucre verlassen. Diese Stadt hat unsere Erwartungen übertroffen. Sie ist so zauberhaft und für mich die bisher schönste Stadt, die ich in Südamerika gesehen habe. Ein wahres Juwel und ich kann verstehen, warum unsere Begleitungen aus dem Schwärmen nicht mehr herauskamen.
Tag 14 – Sucre - Potosí
Eine Stadt auf 4.000 Metern Höhe
Heute heißt es Abschied nehmen vom wunderschönen Sucre. Wir werden persönlich vom Geschäftsführer verabschiedet. Er erzählt uns voller Stolz, dass in seinem Hotel bereits die spanische Königsfamilie übernachtet hat und er gleichzeitig auch der Honorarkonsul von Spanien sei.
Die Strecke nach Potosí legen wir in etwa 4 Stunden zurück. An der auf mich überdimensioniert wirkenden Hängebrücke „Puente Mendez“, die über den Pilcomayo führt, legen wir einen Fotostopp ein, bevor wir unsere Fahrt fortsetzen.
An den Ausläufern Potosís fahren wir später vorbei, denn wir wollen zuerst unser Übernachtungsziel für die beiden nächsten Nächte ansteuern. Dieses liegt etwa 30 Fahrminuten entfernt, dafür jedoch 500 Meter tiefer, sodass wir nicht auf 4.000 Metern Höhe übernachten müssen.
Während der Vorbereitung auf diese Reise wurde ich zufällig auf die Hacienda Cayara aufmerksam, die neben einem Museum auch Übernachtungsgäste beherbergt. Eine Website war nicht zu finden und bei Buchungsportalen war das Angebot für Bolivien ohnehin mehr als übersichtlich. Das würde sich erst in den Folgejahren ändern.
Der Ort Cayara hat weniger als 600 Einwohner, kann jedoch mit dieser geschichtsträchtigen Hacienda aufwarten, in der sich immer wieder berühmte Persönlichkeiten trafen und wohnten, wie der Namensgeber der Hauptstadt, Señor Sucre. Selbst in der neueren Zeit hat sie bekannte Personen angezogen. So höre ich, dass Wim Wenders hier für den Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ gedreht haben soll. Die Hacienda ist eine der ältesten ganz Südamerikas, sie stammt aus dem Jahr 1557.
Wir nehmen ein leichtes Mittagessen zu uns und fahren anschließend nach Potosí. Ich bin sehr gespannt, was uns in dieser Stadt erwarten wird. Potosí war einmal die reichste Stadt der Welt und hatte mehr Einwohner als seinerzeit Paris. 50.000 Menschen lebten im Jahr 1570 in der Stadt. Zu verdanken hatte Potosí seinen Reichtum hauptsächlich dem Silber aus dem Cerro Rico - einmal mehr ein Beispiel dafür, wie passend man einen Namen gewählt hat. Heute leben fast 200.000 Menschen in dieser kalten, windigen, auf bis zu 4.070 Metern Höhe gelegenen Stadt.
Unser Ziel für den Nachmittag ist das Kloster Santa Teresa, das seit 1976 ein Museum ist. Das Kloster wurde im Jahr 1685 von Nonnen des Karmeliterinnenordens gegründet. Selbst viele reiche Familien aus Spanien schickten ihre zweitältesten Töchter in dieses Kloster. Die Mädchen entsagten mit 15 Jahren allem Weltlichen und hatten fortan keinerlei Kontakt mehr zur Außenwelt. Wenn tatsächlich einmal Gespräche stattfinden mussten, wurden diese getrennt durch einen Vorhang geführt. Dies wurde vom Papst erst vor etwa 60 Jahren ein wenig aufgeweicht, der Vorhang wich einem Holzgitter. Selbst während des Gottesdienstes waren die Nonnen auf der Empore durch einen Sichtschutz von den Gottesdienstbesuchern abgeschirmt.
Im Klosterkomplex gibt es unglaublich viel zu sehen, vom Innenhof mit seinem Kreuzgang, der Kapelle, der Küche, dem Essensraum bis hin zu vielen Räumen, in denen Gemälde und sonstige sakrale Kunst ausgestellt sind, aber auch Handarbeiten der Nonnen und vieles mehr. Besonders skurril finde ich einen Raum mit Holztüren im Boden. Hier wurden die Nonnen bestattet. Sie verließen das Kloster nach ihrem Eintritt mit gerade einmal 15 Jahren buchstäblich nie wieder. Über ein Glas im Boden können wir in zwei dieser Grabräume schauen, in dem immer noch zumindest eine mumifizierte Nonne bestattet liegt.
Einmal mehr sind wir die einzigen Touristen und für den hochinteressanten Besuch benötigen wir etwa 2 ½ Stunden.
Nun dauert es nicht mehr lange, bis es dunkel wird. Es bleibt uns gerade noch ein wenig Zeit, um über die Plaza 10 de Noviembre zu schlendern, die vom Justizpalast und der Kathedrale aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts flankiert wird, unweit davon befindet sich die Münzprägeanstalt, die Casa de la Moneda. Dieser werden wir morgen einen Besuch abstatten.
Tag 15 – Potosí
Haus des Geldes
Am Morgen besichtigen wir zuerst die Kirche San Bernado mit ihrem weißen Glockenturm, der sich gelungen abhebt von den Natursteinen, aus denen der Großteil der Kirche besteht. Mir gefällt diese Kombination.
Anschließend fahren wir in die Innenstadt und besuchen die Casa de la Moneda. Das einer Festung gleichenden Gebäude ist die zweite Münzprägeanstalt in Potosí. 14 Jahre dauerte der Bau, bevor sie im Juli 1773 endlich bezugsfertig war. Die erste Casa de la Moneda war bereits schon 200 Jahre früher in Betrieb. Das zweite Haus des Geldes ist heute eines der Aushängeschilder in Sachen Museen ganz Boliviens.
In den weit verzweigten Räumen gibt es erneut allerhand zu sehen. Alte, mehr als 300 Jahre alte, mit riesigen Zahnrädern versehene Maschinen bestaunen wir. Einzelne Arbeitsschritte, wie man beispielsweise damals mit den großen Walzmaschinen gearbeitet hat, sind mit Figuren dargestellt. Tatsächlich verstehe ich dadurch die Prozesse besser.
Aber auch Kunst gibt es zu bestaunen und das Ölgemälde Virgen de Cerro Rico aus dem Jahr 1700, von dem man nicht weiß, wer es erschaffen hat, verfügt über einen Detailreichtum, dass man sich alleine nur hierfür ausreichend Zeit nehmen sollte.
Potosí verfügt über so viele Kunstschätze und sehenswerte Gebäude, die den seinerzeitigen Reichtum erahnen lassen. Ein Reichtum, der mit größter Mühsal aus dem Cerro Rico herausgeholt wurde. Immer noch versuchen die Menschen dem Berg Silber abzutrotzen, aber dieser ist mittlerweile so durchlöchert und im Laufe der Zeit bereits um mehrere hundert Meter eingesackt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann er ganz in sich zusammenbricht. Wenn dies passiert, wird er all die Menschen unter sich begraben, die sich in den oftmals nur rudimentär gesicherten Schächten aufhalten. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Bergarbeiter beträgt gerade einmal 40 Jahre. Sie sprengen sich den Weg mit Dynamit frei, das man ganz legal kaufen kann.
In einem der kleinen Läden ersteht L. für gerade einmal 20 Bolivianos, umgerechnet keine 3 US Dollar, eine Stange Dynamit mit Zündschnur. Nach einigen Fotos und da wir keinerlei Ambitionen haben, uns unseren eigenen Schacht im Cerro Rico frei zu sprengen, wobei das sicherlich nicht so ohne Weiteres erlaubt sein dürfte, wir zudem dankend auf eine für Touristen angebotene Tour in den Berg verzichtet haben, sucht L. nach einem Bergarbeiter, der nüchtern wirkt. Sie schenkt ihm das im wahrsten Sinne mit Sprengstoff behaftete Arbeitsmaterial, worüber sich der Mann sehr freut und sich mehr als einmal bedankt.
Wir legen einen Stopp an der Kirche von San Benito ein, die wir gestern Abend von weitem gesehen haben. Sie hat sich mit ihren weißen Kuppeln und der cremefarbenen Fassade wohltuend abgehoben in dem Meer aus unverputzten und nicht selten unfertigen Häusern.
Unser Weg führt uns höher und immer näher heran an den Cerro Rico. Hier ist nichts mehr, rein gar nichts mehr von den Kunstschätzen im Zentrum Potosís zu erahnen. Alles, was ich sehe, kann ich nur mit einem Wort beschreiben: trostlos. Schweine, die sich durch den Müll wühlen, Menschen, die sich durch den Schutt arbeiten. Ich bin sprachlos von den Bildern, die sich gerade vor meinen Augen abspielen. Wie muss es sich erst im Berg anfühlen, denke ich bei mir. Natürlich habe ich solche Bilder schon im Fernsehen gesehen, auch in Berichten von Potosí, aber nun hier, das alles mit eigenen Augen aufzunehmen, ist noch einmal etwas ganz anderes. Wie gut geht es uns, das begreife ich nicht erst hier, aber genau diese Gedanken kommen mir gerade einmal mehr in den Sinn.
Diese Eindrücke muss ich erst einmal sacken lassen, während wir zurück zur Hacienda fahren … und doch hat diese Stadt etwas, das mich sehr fasziniert hat, was ich aber nicht so recht beschreiben kann. Ich bin sehr froh, dass ich Potosí mit in unsere Reiseroute aufgenommen habe.
Zurück in der Hacienda Cayara erhalten wir als die einzigen Gäste eine private Führung durch das Museum und die hauseigene Kapelle.
Tag 16 – Potosí – La Paz
Der Weg ist weit bis La Paz
Heute liegt ein langer Fahrtag vor uns. Bereits um 07:00 Uhr verlassen wir die Hacienda Cayara. Über das Hochland Boliviens auf gut ausgebauten Straßen fahren wir Richtung Oruro. Einmal mehr zeigt sich der große Unterschied zu den südlichen Nachbarländern. Die Menschen bewirtschaften ihre Felder mit der Hand und einfachsten Geräten. Erst kurz vor La Paz werde ich das einzige Mal auf dieser Reise einen Traktor sehen.
Als wir durch Oruro fahren, bin ich froh, dass wir in dieser Stadt keine Zwischenübernachtung eingeplant haben. Die Bäche - oder besser gesagt die Rinnsale - gleichen einer müllverseuchten Kloake und übertreffen alles, was ich bis dato in dieser Hinsicht in Bolivien gesehen habe. Nicht viel besser sieht es neben der Straße aus.
Die Strecke bis La Paz zieht sich, aber die letzten eineinhalb Stunden, die uns vom hoch gelegenen El Alto auf mehr als 4.000 Metern hinunter in die Zona Sur von La Paz auf 3.200 Metern führen, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist nicht schön, was ich sehe, aber unglaublich beeindruckend. Ich weiß nicht, wohin ich schauen soll. Wir sind beide dermaßen fasziniert und kleben regelrecht hinter den Scheiben des Autos, während wir uns langsam über Serpentinen hinab bewegen.
In La Paz ist die Welt verdreht, oben in El Alto wohnen die Menschen, mit denen es das Leben nicht so gut meinte, hier unten in der sauerstoffreicheren Zona Sur stehen moderne Hochhäuser, Villen und kleine hübsche Häuschen.
Nach 12 Stunden haben wir diese lange Etappe geschafft und erreichen unser wunderbares Hotel, das Casa Real. Von unserer Unterkunft sind wir absolut begeistert, die Zimmer gefallen uns, der Pool ist wunderbar, das Personal sehr freundlich und das Essen im Restaurant hervorragend.
Tag 17 – La Paz - Copacabana
Wasserskooter auf dem Titicacasee, Schilfbootbauer der Raa I & Raa II und zum Abschluss Autos mit Hütchen
Für die letzten Tage in Bolivien begrüßt uns am Morgen unser neuer Guide. Es ist eine Schweizerin, die schon sehr lange in Bolivien lebt. Die nächsten Tage werden wir uns mehr als einmal unsere beiden Begleitungen M. und L. zurückwünschen. So sehr wir von beiden begeistert waren, so wenig sind wir es von unserer neuen Begleitung.
Wir fahren erneut durch El Alto und sehen dabei die Häuser, die einen eigentümlichen Baustil aufweisen. Ich habe leider den Namen vergessen, aber vor noch nicht allzu langer Zeit habe ich darüber einen Bericht im Weltspiegel gesehen.
Es ist sehr kalt, und es nieselt ein wenig. Leider funktioniert die Heizung nicht, aber wie könnte sie auch, es existiert keine in diesem Wagen. Zuerst können wir es kaum glauben, aber es ist so und wie wir hören, ist dies keine Seltenheit in diesem Land. Manche Teile werden auch kurzerhand ausgebaut, wie z. B. Katalysatoren. Das Ganze ist auf den Irrglauben zurückzuführen, dass diese Dinge einem Auto schaden. Nun gut, so verbringen wir die Fahrt in dicken Jacken auf dem Weg zu unserem ersten Ziel des Tages, Tiwanaku.
Es ist Sonntag und mehr als einmal lasse ich fallen, dass ich den heutigen Tag mit Absicht auf einen Sonntag gelegt habe, da ich in Copacabana gerne sehen möchte, wie die Autos gesegnet werden. Darauf freue ich mich sehr und leider weiß ich bis dato noch nicht, dass unserer neuen Begleitung das Wort Zeitplanung völlig fremd zu sein scheint.
So verbringen wir viel zu viel Zeit im Museum, das zwar ganz interessant ist, aber die Hälfte der investierten Zeit hätte längst ausgereicht. Danach geht es zum eigentlichen Gebiet der Ausgrabungsstätte. Zum Glück hatte ich keine zu großen Erwartungen an dieses von der UNESCO geschützten Areal aus der präkolumbischen Zeit. Selbst das Puerto del Sol, das Sonnentor, das einem immer wieder begegnet, wenn man sich mit einer Bolivienreise beschäftigt, hatte ich mir imposanter vorgestellt. Insgesamt ist es ein netter Stopp, den ich nicht missen möchte auf dem Weg zum Titicacasee, aber sicherlich kein Höhepunkt unserer Bolivienreise. Zu allem Überfluss meldet dann mitten auf dem Gelände meine Kamera, dass meine Speicherkarte voll ist. Der Wagen mit der Tasche und der darin befindlichen leeren Speicherkarte steht natürlich viel zu weit entfernt. So müssen einige wenige Fotos von Tiwanaku ausreichen.
Unser nächster Halt am Kon-Tiki Museum gefällt mir wiederum sehr gut. Auch wenn niemand da ist, können wir auf dem Gelände umherschweifen und die Schilfboote bestaunen, die hier immer noch produziert werden. Das Kon-Tiki Museum wird von der Familie Estaban betrieben, deren Vater und Onkel die beiden Raa Boote (I und II) für Thor Heyerdahl gebaut hatten. Durch die besondere Lichtstimmung und den bewölkten Himmel gelingen mir einige meiner Lieblingsfotos unserer Bolivienreise.
Nun ist es nicht mehr weit, bis wir die Stelle erreichen, auf der wir nur noch über den Wasserweg weiterkommen. 600 Meter müssen mit einer Art Fähre überbrückt werden. Auf meine Frage, warum hier keine Brücke gebaut wird, hören wir, dass dieses Bauvorhaben bisher nicht umgesetzt wurde, weil die Fährbetreiber damit drohen, diese zu sprengen, da sie mit einer Brücke ihrer Einnahmen beraubt würden. Ob diese Geschichte stimmt, kann ich nicht beurteilen, was ich aber sehe, erinnert mich an Autoskooter, nur eben auf dem Wasser. Was ist das für ein Spektakel, ein einziges Chaos. Jeder will zuerst anlegen und so schiebt und drängt man sich ein ums andere Mal aggressiv zur Seite. Selbst wenn einer bereits angelegt hat und die wartenden Fahrzeuge auffahren wollen, kommt der nächste und schiebt den Ponton zur Seite. Wir schauen dem Ganzen nur kopfschüttelnd, aber auch erheitert, zu und fragen uns gleichzeitig, ob wir heute noch auf die andere Seite gelangen und ob uns dies gelingen wird, ohne im eiskalten Wasser zu landen.
Irgendwann hat sich dann aber einer der Fährmänner durchgesetzt und behauptet seinen Platz. Wir können auffahren auf eine Fähre, die alles andere als einen vertrauenserweckenden Eindruck auf mich macht, seetauglich stelle ich mir irgendwie anders vor. Mit uns reisen nur noch ein weiterer Pkw und ein Motorrad, zum Glück kein großer Bus oder Lkw. Wir kommen nicht nur trocken, sondern auch wohlbehalten am gegenüberliegenden Ufer in San Pedro de Tiquina an.
40 Fahrminuten trennen uns von Copacabana, dem wichtigsten Wallfahrtsort Südamerikas. Leider sind wir zu spät, um das Spektakel der Fahrzeugsegnung zu erleben, nur noch wenige Wagen, verfeinert mit kleinen Hütchen und allerlei weiterem schmückenden Beiwerk, stehen in der Nähe der Kathedrale. Ich bin leicht säuerlich auf unsere Begleitung, die die Ruhe weg hat und leider schon den ganzen Tag nicht in die Gänge kommt, stattdessen aber gerne immer mal wieder eine Zigarette qualmt.
Es bleibt wenigstens noch so viel Zeit, um die Basilika Virgen de la Candelaria zu besichtigen, die besonders wegen ihrer schwarzen Madonna bekannt ist, bevor wir im Hotel Rosario del Lago einchecken, in dem wir ein sehr schönes Zimmer erhalten. Wir befinden uns auf 3.800 Metern Höhe und dies wird der höchste Übernachtungspunkt auf unserer Reise sein.
Tag 18 – Copacabana - La Paz
Über den Dächern von La Paz
Wie ich einmal mehr feststelle, ist es ein Unterschied, ob wir uns tagsüber in die Höhe begeben (da haben wir auch schon die 5.000er Marke überschritten) oder ob wir in der Höhe schlafen. Für mich bewahrheitet sich der Spruch „Climb high, sleep low“. In der Nacht sind wir zeitgleich aufgewacht, nicht vom Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte, sondern vom mangelnden Sauerstoff im Raum. Nachdem wir die Balkontür etwas geöffnet haben und sauerstoffarme Frischluft hereinströmt, können wir weiter schlafen. Von unseren Freunden hingegen erfahren wir, dass es ihnen nicht ganz so gut erging und meine Freundin der Sauerstoffflasche zugetan war. Zum Glück ist man im Hotel auf solche Fälle vorbereitet.
Den Besuch der Mondinsel mussten wir leider bereits schon am Vortag mangels Zeit absagen, da wir lieber den Nachmittag für La Paz nutzen möchten. So fahren wir morgens bei Nieselregen um 08:00 Uhr zu dritt los, da mein Mann die wackeligen Stege und den doch eher herausfordernden Zugang zum Boot nicht meistern kann. Selbst unser Freund stürzt beim Einstieg in das Boot, zum Glück passiert ihm nichts. 50 Minuten später erreichen wir den Südteil der Isla del Sol, wo sich die Inkatreppe befindet, die über 200 Stufen weiter hinauf führt als wir uns ohnehin schon befinden. Wir erklimmen einige der Stufen, gehen aber nicht bis ganz oben, da wir nicht weiter in den Norden der Sonneninsel reisen können. Am Fuß der Escalera del Inka befindet sich die Quelle der drei Wasser. Jeder der drei Süßwasserströme, von denen niemand so recht weiß, woher sie kommen, soll einen eigenen Geschmack haben. Wir probieren es nicht, etwaige Magenprobleme möchten wir gerne vermeiden.
War das Aussteigen hier noch schwieriger als der Zustieg in Copacabana, ist das Einsteigen eine regelrechte Zumutung. Nachdem L. uns sagt, dass das Anlanden beim Tempel von Pilkokaini, der eigentlich auf unserem Besuchsprogramm steht, noch schwieriger sei, begnügen wir uns mit Fotos aus dem Boot. Es tröstet uns, als wir den Tempel aus der Nähe sehen, besonders spektakulär sieht er nicht aus.
Der Nordteil der Isla del Sol kann derzeit – und wohl auch noch die folgenden Monate, so genau ist dies nicht abzusehen – nicht besucht werden. Der Grund sind Feindseligkeiten der Inselbewohner untereinander. Sie boykottieren daher jeglichen touristischen Betrieb. Wir hören erstaunt, dass bereits ein Boot gekapert wurde, das den Norden anlaufen wollte.
Da ich erneut unseren heutigen Zeitplan in Gefahr sehe, bitte ich L. mehrmals, sie möge den Fahrer anrufen, damit dieser ins Hotel fährt und meinen Mann abholt. So könnten wir direkt nach Ankunft in Copacabana nach La Paz aufbrechen. Leider bekommt sie das nicht auf die Reihe. Wir sind mittlerweile schon ziemlich genervt. Als sie dann in Copacabana in aller Seelenruhe erst noch eine Zigarette rauchen will, bevor sie den Fahrer anruft, werde ich ziemlich ungehalten. Wir verlieren wertvolle Zeit, weil mein Mann natürlich noch im Hotel auf uns wartet. Später trösten wir ihn, dass er auf dieser Tour nicht wirklich etwas verpasst hat. Wir sind alle vier nicht gerade begeistert von der Leistung unseres Guides, aber L. ist von allem unbeeindruckt.
Der Nachmittag hingegen wartet für uns mit einem Höhepunkt auf. Wir fahren Seilbahn. Die erste Linie in El Alto und La Paz wurde im Jahr 2014 in Betrieb genommen, gebaut wurde sie von Schweizern und Österreichern. Wir fahren mit der blauen, roten und eine Station mit der orangen Linie, noch sind nicht alle Linien fertiggestellt. Es macht uns riesigen Spaß und wir genießen die spannenden Ausblicke. Wir sind uns einig, hier könnten wir auch einen ganzen Tag fahren. Besonders einprägsam ist ein Auto, das seit einem Unfall, der einige Monate zurückliegt, senkrecht in einer Felsspalte hängt. Rätselhaft bleibt für uns der Unfallhergang.
Zum Glück bleibt später noch ein wenig Zeit für einen Stadtrundgang durch das quirlige Zentrum der Stadt. Der Verkehr ist dermaßen chaotisch, dass wir Fußgänger auf der Hut sein müssen, nicht überfahren zu werden.
Tag 19 – La Paz - Arica
Von Bolivien nach Chile
Wir wollen früh los, denn unser heutiges Tagesziel ist die Hafenstadt Arica im Norden Chiles. Leider schießt L. heute den Vogel ab. Wir warten im Hotel auf unsere Begleitung und werden langsam ungeduldig. Dann erfahren wir von unserem Fahrer, dass sie verschlafen hat und wir sollen sie an einem Treffpunkt in der Nähe ihres Hauses abholen. Das bedeutet einen Umweg und wir sind stinksauer. Wenigstens ist der Himmel heute nicht mehr so trüb und der Illimani (6.439 Meter), der Hausberg von La Paz, zeigt sich uns, wenn auch im Gegenlicht. Ich hatte zwar die ganze Zeit darauf gehofft, aber so ganz hatte ich bei dem trüben Wetter der letzten Tage nicht mehr damit gerechnet.
Unsere Fahrt führt uns einmal mehr durch El Alto. Die Ansiedelungen sind wild gewachsen und eine Kanalisation existiert zumeist nicht. In der Nacht hatte es geregnet und teilweise steht das Wasser knietief neben der Straße. Der Müll schwimmt herum, zwischen dem Morast stehen Verkaufsstände.
Immer wieder sehen wir Puppen in Menschenform an Pfosten hängen, auf unsere Frage, was diese zu bedeuten hätten, sagt man uns, dass es sich um Drohungen handelt gegenüber anderen Personen, mit denen man sich in einem Streit befindet.
Eigentlich müssten wir kurz vor dem Ort Patacamaya die Abzweigung Richtung Chile nehmen, die Fahrer fahren jedoch südlich. Sie hatten noch nicht getankt und peilen eine Tankstelle mit Essensmöglichkeit an, schließlich hat L. noch nicht gefrühstückt. Das möchte sie nun gerne mit einem gemütlichen Mahl im Restaurant nachholen. Zum Glück muss ich diesmal nicht intervenieren, das hat bereits unsere Freundin übernommen. Sie macht allen ganz klar, dass sie nun schnell – was in Anbetracht der langen Schlange vor den Zapfsäulen zu unserem Leidwesen kaum realisierbar sein wird – tanken mögen und sich gerne „schnell“ Essen zum Mitnehmen kaufen können, aber ganz, ganz sicher würden wir jetzt hier nicht noch in ein Restaurant einkehren. Wir sehnen den Moment herbei, ab dem wir von L. befreit sein werden. Ihr Name ist notiert, komme ich noch jemals wieder nach Bolivien, weiß ich, wer mich ganz gewiss nicht mehr begleiten wird.
Die Landschaft entlang der Strecke weist schöne Gesteinsformationen auf, auch Chullpas, Grabtürme aus Adobeziegeln, stehen nicht allzu weit von der Strecke entfernt. Leider können wir dank L. den Besuch von Curahuara de Carangas knicken. Diese Kirche wird gerne mit dem Beinamen „Sixtinische Kapelle des Hochlandes“ bezeichnet. Da auch diese Kirche verschlossen ist, müssten wir zuerst den Hüter des Schlüssels ausfindig machen und das ist zeitlich einfach nicht mehr möglich. L. sieht das zwar anders, aber ich habe aus der verbrachten Zeit mit ihr gelernt und die Zeitplanung ab jetzt in die Hand genommen, da ich wenigstens noch den kleinen Abstecher in den Sajama Nationalpark unternehmen möchte.
Der Vulkan Sajama mit seinen 6.542 Metern ist die höchste Erhebung Boliviens. Wir hatten den Kegel vor ziemlich genau einem Jahr von der chilenischen Seite aus der Entfernung gesehen. Mein Mann und ich besuchten als Selbstfahrer den wunderschönen Lauca Nationalpark jenseits der Grenze zu Bolivien. Hatten wir seinerzeit Bilderbuchwetter, hoffe ich heute darauf, dass sich uns der Sajama in seiner ganzen Pracht zeigen wird. Zuerst tut er uns diesen Gefallen nicht, aber dann ganz plötzlich verschwinden die Wolken, zumindest soweit, dass wir seinen Gipfel sehen können. Mittlerweile sind wir in den Park hineingefahren und ich bin total begeistert von dieser Szenerie. Drehe ich mich um, sehe ich die Gipfel der beiden Vulkane Pomerape und Parinacota, die mich – bei so viel besserem Wetter – im vergangenen Jahr schon so verzückt hatten. Hierher möchte ich sehr gerne noch einmal wiederkommen. Vielleicht kann ich dies irgendwann noch einmal realisieren, wer weiß.
Chile empfängt uns mit einer modernen Grenzstation und unser Fahrer erwartet uns bereits. Was uns allen auffällt, die Müllproblematik am Straßenrand lässt sofort nach. Auch wenn der Lauca Nationalpark diesmal nicht mit Bilderbuchwetter aufwarten kann und wir kaum Möglichkeiten zum Anhalten haben, weil sich eine 25 Kilometer lange Baustelle mit übelstem Wellblech entlang dieser Hauptverkehrsader zwischen Bolivien und Chile befindet, lässt es einen erahnen, welche traumhafte Szenerie sich vor uns auftut.
Vikuñas begrüßen uns am Straßenrand und im letzten Abendlicht fahren wir durch das Valle de Lluta mit seinen grünen Anbauflächen zwischen den kargen Felswänden, in denen besonders viele Cebollas (Zwiebeln) geerntet werden. Als wir Arica erreichen, ist es bereits nach 20:00 Uhr und es ist stockdunkel. Wir wohnen für eine Nacht im Casa Beltran und müssen uns erst einmal wieder an die chilenischen Preise gewöhnen. Noch ahnen wir nicht, was uns diesbezüglich in Uruguay erwarten wird.

„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“
-
Bruno H. Bürgel