Armenien
Klöster & Kreuzsteine im kleinen Kaukasus
- Teil 1 -
Prolog - Wir reisen nun alphabetisch
Cher – ihre Musik mochte ich schon immer sehr gerne, besonders die älteren Stücke, genauso ihre Filme, die ich gesehen habe.
Charles Aznavour – natürlich hat mir der Sänger bereits in der Vergangenheit etwas gesagt, dennoch habe ich erst in der letzten Zeit den einen oder anderen Chanson von ihm bewusst(er) gehört.
Ja, und dann fällt mir noch der Name Kardashian ein.
Warum erwähne ich diese Personen? Das tue ich, weil sie eine Gemeinsamkeit haben, die mich zu unserem bevorstehenden Reiseziel führt. Ihre Wurzeln bzw. die ihrer Familien finden sich in einem kleinen Land im Kaukasus, in Armenien. Tatsächlich lebt ein Großteil, genau genommen mehr als zwei Drittel der Armenier und ihrer Nachfahren in der Diaspora. Armenier erkennen sich weltweit an der Endung ihres Nachnamens mit -ian/-yan.
Das kleine Land blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Es gilt als das älteste christliche Land. Armenien verfügt über ein hervorragendes Bildungssystem.
Neben Georgien, das ich im letzten Jahr besuchen konnte, hatte ich auch das südlich gelegene Armenien schon länger im Hinterkopf für eine Reise. Nur etwas über vier Flugstunden von Deutschland entfernt, ist es für uns ein Ziel, das auch für eine Woche lohnt. Nachdem mir Georgien sehr gut gefallen hat und wir noch ein paar wenige Urlaubstage verplanen konnten, fiel unsere Wahl erneut auf ein Land im Kaukasus. Schnell war der Flug sowie ein Hotel in der Hauptstadt gebucht. Wir wollen nicht umziehen, sondern uns Yerevan ansehen sowie von der zentral gelegenen Stadt, private Touren ins Land unternehmen. Die Größe Armeniens bietet dafür die idealen Voraussetzungen.
Armenien macht dieses Jahr den Anfang - ich könnte auch sagen, es ist das „First A“ unseres „Triple A Reisejahres“. Wir reisen jetzt alphabetisch. Scherz beiseite, das war so gar nicht geplant und für nächstes Jahr stehen auch nicht Brüssel – Bonaire – Benin auf dem Programm.
Wir freuen uns sehr auf die Reise und natürlich habe ich mich ein wenig vorbereitet, dennoch können wir noch nicht so recht einschätzen, was uns erwarten und wie es uns gefallen wird. Über allem schwebt aber die riesige Freude, ein neues Land zu entdecken, das noch nicht zu stark auf der touristischen Landkarte angekommen ist, und von dem ich zudem annehme, dass es so ganz anders sein wird, als alles, was ich bisher so gesehen habe - Georgien möglicherweise ausgenommen.
Tag 1 – Frankfurt - Yerevan
Auf nach Armenien
Aufgrund des bevorstehenden Pfingstwochenendes sind wir sicherheitshalber sehr zeitig losgefahren. Die Anreise zum Flughafen verläuft glücklicherweise problemlos.
Was die Lounge betrifft, so könnte sich die LH so einiges abschauen bei anderen Airlines. Das Essensangebot ist mehr als übersichtlich, zudem müssen wir suchen, um einen freien Platz zu finden. Wahrscheinlich sind wir einfach mittlerweile zu verwöhnt, denn nichtsdestotrotz ist das Warten auf einen Flug hier doch um ein Vielfaches komfortabler als auf den unbequemeren Sitzen am Gate.
Normalerweise schreibe ich nicht viel zu Kosten einer Reise - weder in die eine noch in die andere Richtung. Heute mache ich jedoch eine Ausnahme, denn die beiden Flüge in Business Class und die Übernachtungen im Hotel für 8 Nächte inkl. des Transfers nach Ankunft haben in der Summe tatsächlich nur deshalb einen vierstelligen Wert erreicht, weil wir eine Umbuchungsgebühr in Kauf genommen hatten. Wir waren zuvor auf einem Prämienflug mit der Austrian Airlines via Wien gebucht, da der Direktflug mit der LH keine Verfügbarkeiten hatte. Als wir dann die Möglichkeit hatten, auf den Direktflug umzubuchen, mussten wir nicht lange überlegen, denn so hat sich die Reisezeit etwa halbiert. Ich finde bei diesen Kosten gibt es keinen Grund zu meckern und noch viel weniger, wenn ich mir die Wetterprognose der nächsten Tage für Yerevan anschaue.
Tag 2 – Yerevan (Schneider – Kaskaden – Weinfest)
Wohnen im drei Meter breiten Hotel
Wir rollen zur Startbahn. Plötzlich bremst die Maschine abrupt ab. Ich habe Bedenken, dass etwas mit der A321 Neo nicht in Ordnung ist, aber da folgt bereits die Entwarnung des Kapitäns. Er entschuldigt sich für das scharfe Abbremsen, ein Hase kreuzte unseren Weg. Auf die Durchsage folgt allgemeines Gelächter.
Mit etwa 40 Minuten Verspätung hebt der Kranichflieger ab. 3 Stunden und 45 Minuten werden wir für den Flug benötigen. Armenien ist nicht weiter entfernt als die Kanaren. Die Crew ist sehr freundlich und auf dem Nachtflug gibt es Kissen und Decken für die Passagiere. Das Essen schmeckt mir leider nur teilweise gut. Während der Lachstatar und das Tiramisu sehr schmackhaft sind, ist das Hähnchen das Gegenteil.
Ich frage mich, wer sich nur diese Flugzeiten ausgedacht hat. Ähnlich wie in Tiflis, landen auch in Yerevan viele Flüge mitten in der Nacht - so auch wir. Um 04:00 Uhr setzen wir unsere Füße auf armenischen Boden. Zum Glück kommen wir geschwind durch die Kontrollen und unser Transfer, der vom Hotel als kostenfreier Service angeboten wird, bringt uns in 20 Minuten zu unserer Unterkunft der nächsten Woche.
Dieses kleine, noch recht neue Hotel mit nur fünf Zimmern ist architektonisch gesehen ziemlich witzig, so als ob man eine Lücke irgendwie sinnvoll nutzen wollte. Ich schätze, unser Hotel bringt es auf etwa drei Meter Breite. Auf jeder Etage, der Empfang ausgenommen, gibt es ein Zimmer. Ich habe es ausgewählt, weil es super zentral liegt, die Zimmer einen Balkon haben, die Bewertungen voll des Lobes waren und es zu einem extrem guten Preis buchbar war. Vor kurzem hatte ich unseren Reisezeitraum angeschaut, da wurde nun der doppelte Preis aufgerufen. Wir fühlen uns sehr wohl und fallen gegen 05:30 Uhr morgens absolut übernächtigt ins Bett.
Der Schneider von Yerevan
Nach wenigen Stunden Schlaf wachen wir auf, pünktlich zur Lieferung unseres Frühstücks um 10:30 Uhr, das wir auf unserem Balkon verspeisen.
Gegenüber hat sich ein Musiker niedergelassen, der mit seinem Verstärker eine solche - und alles andere als schöne - Lautstärke verbreitet, dass wir überlegen, ihm Geld in seine Box zu werfen verbunden mit der Bitte, doch den Platz zu wechseln. Nachdem wir beobachten, dass sich alle Vorübergehenden mit Spenden sehr zurückhalten, packt er nach kurzer Zeit zusammen und verschwindet. Wir werden seine Musik nicht vermissen.
Wir sind beide immer noch dermaßen müde, dass wir uns nur kurz aufs Bett legen wollen … aus dem kurz werden dann noch einmal zwei Stunden Tiefschlaf. Wir sind keine zwanzig mehr und wir haben für heute ohnehin keine festen Termine.
Unser erster Programmpunkt führt uns zu einem ungeplanten Ziel. Mein Mann hat sich gestern ein Loch in die Hose gerissen. So begeben wir uns zur vom Hotel empfohlenen Adresse. Wir stellen fest, dass sich viele Geschäfte Yerevans - auch entlang der Prachtstraße - im Souterrain befinden; ebenso unser Schneider von Yerevan, der sich einem kleinen Labyrinth gleich seinen Platz mit einer Art Kiosk und einem Büroservice teilt. Wir hören kein, dafür hätte man jetzt keine Zeit, stattdessen nimmt man sich dem Malheur sofort an. In zwanzig Minuten ist die Hose wiederhergestellt.
Auf dem Rückweg kommen wir an einem Gebäude vorbei, das meine Neugierde weckt. Da ich weder Armenisch noch Russisch kann, spreche ich einen Mann an und frage ihn, ob es sich um ein Theater handelt. Er versteht Theater, holt dann aber einen Kollegen, der wiederum nur ein paar Worte Englisch spricht. Eigentlich will ich schon gehen, er gibt mir jedoch zu verstehen, ich möge bitte warten. Einige Minuten später hat er einen weiteren Mann im Schlepptau, der soviel Englisch spricht, dass er mir erklärt, es handele sich um einen Ort, wo Künstler Räume mieten und sich untereinander austauschen können. Diese extreme Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft haben wir heute bereits mehrfach erlebt.
Nun lade ich Russisch in meine Übersetzer App und frage mich, warum ich das nicht schon zuhause getan habe. Armenisch gibt es nicht, aber viele sprechen hier Russisch.
Einige Zeit später sehen wir kleine Stände, es handelt sich um ein „Taste Fest“. Das lassen wir uns nicht nehmen und schlendern an den einzelnen Ständen vorbei. Leider ist fast alles süß, sodass wir in einem schönen Restaurant einkehren. Wir sitzen draußen und ich mache etwas, was ich bisher nur bei den Hundertwasser-Toiletten gemacht habe, ich fotografiere die Örtlichkeiten, weil ich sie zwar nicht unbedingt schön, jedoch interessant finde.
Mein Held: Der Erfinder der Rolltreppe
Die Oper liegt quasi um die Ecke unserer Unterkunft und nach einem kurzen Stopp auf unserem Zimmer steuern wir diese an. Ich möchte nach einer Tour durch die heiligen Hallen fragen. Leider wird jedoch keine durch dieses bekannte, 1.200 Besucher fassende Haus angeboten. Stattdessen könnten wir Karten für Carmen am Sonntag oder La Traviata am Mittwoch kaufen. Mein Mann winkt sofort ab. Ich bin tatsächlich etwas unschlüssig, aber drei Stunden Aufführung könnten mir doch zu lange werden. So verschiebe ich meine Entscheidung.
Nicht allzu weit entfernt befindet sich eine der bekannten Sehenswürdigkeiten der Stadt, die Kaskaden. Der langgezogene Vorplatz ist mit Kunst garniert, auch die rauchende Dame sowie der Krieger von Botero haben es nach Yerevan geschafft.
Die Kaskaden sind unvollendet - unvollendet, weil die oberste Plattform nach dem Tod des Erschaffers nicht fertiggestellt wurde. Ob dies jemals geschehen wird, wer weiß das schon.
Es gibt zwei Möglichkeiten, nach oben zu gelangen. Zum einen führen gefühlt hundert Millionen Treppenstufen hinauf, die zudem eine merkwürdige Tiefe aufweisen, zum anderen wurden innerhalb des Komplexes Rolltreppen errichtet, von denen man die Zwischenplateaus erreichen kann. Neben den Rolltreppen und auf den einzelnen Ebenen ist analog zum Vorplatz Kunst des Cafesjian Centre of Arts ausgestellt.
Hätte nicht jemand die Rolltreppe erfunden, hätten wir wohl nie diese wirklich spektakuläre Aussicht von oben genießen können. Wir sind beide regelrecht geflasht, als wir über die Stadt hinweg hinüber blicken zum mächtigen Gipfel des großen Ararats, der bereits auf türkischem Gebiet liegt. Links daneben erhebt sich ein Gipfel in Kegelform, der des kleinen Ararats. Wir haben heute mit der Sicht großes Glück, da man diese Schönheit nicht immer zu Gesicht bekommt.
Oben neben den Kaskaden steht das alles andere als kleine Haus von Charles Aznavour.
Ethno Colors: Schon mal gehört?
Die Kaskaden und die Aussicht von selbigen während eines perfekten Sommerabends gefallen uns sehr.
Manche Straßenzüge der Stadt erinnern mich ein kleinwenig an Buenos Aires, vielleicht gibt es auch Ähnlichkeit mit Paris, wenn da nicht die für mich nicht zu entziffernden Schriftzeichen wären. Der Baustil der Gebäude, wie der Oper oder der Kaskaden, lässt mich wiederum daran denken, dass das Land einmal zur Sowjetunion gehörte.
Gut finde ich, dass die Straßenhunde, zumindest die, die wir bisher gesehen haben, ausreichend genährt ausschauen und getagt sind, scheinbar dann auch geimpft; genauso wie ich das letztes Jahr in Tiflis erlebt habe.
Die Stadt ist jung, sehr jung und strahlt auf uns ein ganz besonderes Flair und eine Dynamik im positiven Sinn aus. Waren wir etwas skeptisch, wie es uns gefallen würde, fühlen wir uns am ersten Tag sehr wohl. Selbst mein Mann, der doch so einiges gewohnt ist über die letzten Jahrzehnte, wenn ich mal wieder mit einem Reiseziel um die Ecke kam, das noch nicht zu sehr auf dem touristischen Radar zu finden war, war skeptisch, aber wie (fast) immer, sehr offen, zeigt mir an, dass er bisher nur positiv überrascht ist.
Wir nehmen nicht allzu viele Touristen wahr. Einmal höre ich eine Frau auf Deutsch mit einem Kind reden, an den Kaskaden sind einige Asiaten unterwegs und selten vernehme ich englische Worte.
Zurzeit findet ein Weinfest statt und wir steuern die Straßenzüge dieses Events an. Es ist so voll, dass teilweise kein Durchkommen ist. Zufällig kommen wir an einer großen Bühne vorbei und ich frage in die Runde einiger junger Leute, ob jemand Englisch spricht. Ein junger Mann bejaht und ich frage ihn, ob das eine bekannte Band sei, die da gerade spielt. Er sagt mir, dass es so eine Art Vorgruppe sei, aber in wenigen Minuten spiele „Ethno Colors“, die in Armenien absolute Stars sind. Ich hingegen habe noch nie etwas von dieser Band gehört. Die Zuschauer sind begeistert, als die Band loslegt. Wir haben einen seitlichen Blick auf die Bühne und hören uns ein paar Stücke an - was soll ich sagen, das gefällt mir richtig gut, auch wenn ich nicht den entferntesten Schimmer habe, wovon da gerade gesungen wird. Eintritt kostet das nicht - irgendwie ist das alles hier richtig cool.
Morgen schauen wir uns geruhsam ein wenig mehr von der Stadt an, bevor es dann Montag und Dienstag mit Privattouren ins Land gehen wird.
Tag 3 – Yerevan (Kunstmarkt – Innenstadt)
Die Katze mit den gelben Augen und willkommen im postsowjetischen Schick
Vorbei am Opernhaus zieht es uns zum Kunstmarkt. Künstler sitzen im Schatten, halten einen Plausch und spielen Backgammon. Zumeist werden Bilder angeboten.
Einige Bilder stellen Motive Armeniens dar, andere würden gut zur Wohnungseinrichtung im Stil des Recklinghausener Barocks passen, aber auch moderne Malereien gibt es zu erstehen. Wahrscheinlich findet sich für fast jeden Geschmack etwas - auch für unseren.
Passend dazu befindet sich in der Mitte des Platzes eine Skulptur, die den armenischen Künstlers Martiros Saryan darstellt, der von 1880 bis 1972 lebte. Etwas entfernt davon findet sich eine weitere Skulptur, die vier bekannte armenische Schauspieler zeigt.
Eigentlich wollten wir nur ein wenig schlendern, aber dann entzücken uns die Arbeiten eines Künstlers so sehr, dass nun die Katze mit den gelben Augen nach Deutschland auswandern wird.
In der Nähe des Kunstmarktes befinden sich zahlreiche Cafés und Restaurants, deren Gemeinsamkeit es ist, über schöne, gepflegte und somit sehr einladende Sitzbereiche zu verfügen.
Ursprünglich wollten wir nach dem Kunstmarkt das Museum für Handschriften besuchen. Nun sind wir jedoch auf die Katze gekommen und haben keine Lust, diese noch stundenlang mit uns herumzuschleppen.
Wir bringen das Kätzchen zurück in unser drei Meter breites Hotel und werfen unsere Pläne um. Wir laufen zum Platz der Republik. Der Weg dorthin ist von Bauten gesäumt, die die sowjetische Vergangenheit nicht leugnen können. Viele wirken geradezu monströs, aber alles ist makellos sauber.
Der Platz der Republik ist umgegeben von Gebäuden ähnlicher Architektur. Wie so viele Bauten in Armenien sind auch diese aus Tuffstein. Hier stehen das Regierungsgebäude, das ehemalige Außenministerium, das Marriott sowie das Nationalmuseum. Mittendrin befindet sich ein großes Becken mit Wasserfontänen.
Wir laufen durch Parkanlagen, immer wieder vorbei an Wasserspielen und den 2.750 kleinen Fontänen, deren Anzahl an das Alter der Stadt erinnern soll.
Die Blaue Moschee, so habe ich gelesen, ist die einzige Moschee des Landes.
Wir lassen uns durch die Stadt treiben, sitzen auf Parkbänken und kehren schließlich in einem Restaurant zum Essen ein.
Tag 4 – Yerevan (Chor Virap – Azat Stausee - Garni – Symphony of Stones - Kloster Geghard)
Dem Vulkan so nah wie möglich
Für heute habe ich eine Privattour mit Fahrer gebucht und einen Guide gleich dazu. Ich hatte im Vorfeld überlegt, ob wir uns das sparen können. Im Nachhinein sind wir froh, dass wir einen kompetenten Begleiter an unserer Seite hatten. So haben wir einiges über unsere Ziele, aber auch über das Land erfahren, das uns sonst verwehrt geblieben wäre.
Tatsächlich haben wir ein sehr volles Programm für den heutigen Tag. Unser erstes Ziel ist Chor Virap, ein Klosterkomplex, der errichtet wurde, weil der heilige Grigor ganze 15 Jahre in einem dunklen, stickigen Erdloch verbringen musste, in das er vom König wegen seines Glaubens geworfen wurde. In dieses Erdloch kann man heute über eine Leiter durch einen sehr engen Schacht hinabsteigen, wenn man will. Wir wollen nicht.
Stattdessen begnügen wir uns mit der Besichtigung der Muttergotteskirche, der Virap-Kapelle und des Kerzenraumes. Es ist sehr eindrücklich zu sehen, wie tief im Gebet versunken ein junger Mann hier steht.
Ich gehe anschließend den sehr unebenen Pfad hinter dem Komplex so weit hoch, dass ich einen weiteren Blick auf den großen und kleinen Ararat werfen kann. Dieser Blick hat mich bereits schon von innerhalb der Klostermauern beeindruckt. Viel näher kann man den schlafenden Vulkanschlunden von armenischer Seite nicht kommen. Unten im Tal sehen wir die Zäune, die Armenien und die Türkei trennen und auch einen Wachturm. Im Niemandsland zwischen beiden Ländern, deren Grenze nicht passierbar ist, dürfen die Bauern ihre Felder bestellen, wie wir von unserem Guide erfahren.
Unterhalb des Klosters liegt ein Friedhof mit alten Gräbern, die mit Grabsteinen verschlossen sind. Auf den Grabsteinen der neueren Ruhestätten befinden sich Bilder der Verstorbenen. Auf einigen weht die armenische Flagge. Hier liegen Soldaten, die im Krieg gefallen sind. Die letzte Auseinandersetzung mit dem Nachbarn Aserbaidschan liegt erst wenige Jahre zurück.
Als ich in Vorbereitung zur Reise Fotos vom Azat-Stausee sah, war für mich klar, da möchte ich hin. Sonderlich viel ist am ersten Viewpoint nicht los, zwei weitere Autos haben den Weg hierher genommen. Der Stausee ist nicht groß, gefällt mir aber sehr gut. Gekrönt wird das Ganze einmal mehr mit Blick auf die beiden Araratgipfel.
Am zweiten Viewpoint stehen lediglich zwei sympathische Schweizer mit ihrem Camper, die auf Langzeitreise sind. Nach ein paar Fotos und einem kurzen Austausch geht es weiter zum Tempel von Garni.
Overtourism - auch in Armenien
Hier ist es dann mit der Ruhe vorbei. Das ist Overtourism vom Feinsten. Andere Nationen, unter anderem auffallend viele Asiaten, aber auch Russen sowie vereinzelt deutschsprachige (Gruppen-)Touristen sind unterwegs. Armenien ist scheinbar kein Geheimtipp. Garni ist allerdings das meistbesuchte Ziel in Armenien, so habe ich es gelesen und so erzählt es auch unser Guide.
Der Tempel hat bereits ein paar Jährchen auf dem Buckel, genau genommen fast 2.000 Jahre. Ein Erdbeben im 17. Jahrhundert hat ihn und die danebenstehende Kirche teilweise bis komplett zerstört. Der Tempel mit seinen umlaufenden 24 Säulen wurde wieder hergerichtet, von der Sionkirche stehen lediglich die Grundmauern.
Badehäuser gab es auch. In einem informativen Video wird erklärt, wie man im 3. Jahrhundert gewellnesst hat. Sogar Reste eines wunderbaren Mosaiks mit griechischen Motiven sind noch vorhanden.
Mittlerweile haben wir mehr als 30 Grad, es ist brütend heiß. Unser Mittagessen in einem versteckten Restaurant, das jedoch riesig und auf unzählige Reisegruppen eingestellt ist, würde für mehr als uns beide reichen. Wir erhalten einen sehr ruhigen und schattigen Platz und lassen es uns schmecken.
Die Symphony of Stones liegen in einer bezaubernden Landschaft ganz in der Nähe. Diese Basaltformationen erinnern mich sehr an die Organ Pipes, die ich vor langer Zeit in Namibia gesehen habe. Nur sind diese hier viel größer, weitläufiger und gefallen mir tatsächlich besser.
Gänsehaut
Armenien ist das älteste christliche Land (301 n. Chr.) und dass ich dies im Kloster Geghard mit einer regelrechten Gänsehaut spüren würde, darauf war ich tatsächlich nicht vorbereitet.
Unser Guide erzählt uns, dass er seit fünf Jahren herkommt, er die Kirche jedoch nur eingerüstet kennt. Möglicherweise fehlen die Mittel, die Instandsetzungsarbeiten fertig zu stellen.
Geghard steht auf Armenisch für die Lanzenspitze, mit der dem ans Kreuz geschlagene Christus die seitliche Wunde zugefügt worden sein soll. Diese von den Gläubigen angenommene Lanzenspitze wurde lange Zeit im etwa 1.000 Jahre alten Kloster aufbewahrt und befindet sich nun in Edschmiatsin.
Die vor vielen Jahrhunderten in den Felsen gehauenen Räume, die auch als Grabstätten dienten, sind dunkel, aber schlicht und ergreifend faszinierend. Sie ziehen mich auf eine nicht zu beschreibende Art und Weise in ihren Bann. Als ich dann zu dem oberen Gavit aufsteige und hier Frauen singen, verspüre ich Gänsehaut.
Geghard ist für mich der Höhepunkt eines tollen Tages und ein ganz besonderer Ort.

„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“
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Bruno H. Bürgel