Südgeorgien & Antarktika 2014 Teil 2 - Südgeorgien


Südgeorgien und Antarktika

Die Appendix-Trilogie, Teil 2:

Ohne Herrn Appendix auf Sir Ernest Shackletons Spuren

- Teil 2 Südgeorgien -




Tag 9 – Südgeorgien (Anlandungen Fortuna Bay und Stromness Bay)

Windstärke: 4

Seestärke: 4

Temperatur: bis 3° Celsius, wechselhaft

Sonnenaufgang: 04:15 Uhr, Sonnenuntergang: 20:56 Uhr


Wir fuhren bereits an der spektakulären Küste Südgeorgiens entlang. Es ist egal, in welche Bucht man schaute, überall wimmelte es nur so von Leben. Ich konnte es kaum fassen, schon die ersten Blicke auf diese Insel überwältigten mich.

Heute sollte es endlich soweit sein. Ich würde meinen Fuß auf die Insel Südgeorgien setzen. Ich verspürte eine unglaubliche Vorfreude. 


Zum Glück hatten wir genug Zeit eingeplant, um uns das erste Mal in unsere „Expeditionskleidung“ zu verpacken. So anstrengend und vor allem schweißtreibend in der gut geheizten Kabine hätte ich es mir nicht vorgestellt, gerade wo wir uns doch im Vorfeld der Reise eher auf die Empfindung Frieren eingestellt hatten. 


Beim Blick in den Spiegel musste ich unwillkürlich an das Michelin Männchen denken, nur dass dieses M-Männchen im Spiegelbild noch eine Zodiac-Schwimmweste und eine andere Frisur trug. So verpackt staksten wir also Richtung Grand Salon, um uns ordnungsgemäß absaugen zu lassen. Vor dem Salon hatte sich schon eine kleine Schlange gebildet und dann passierte etwas, was mich fast meinen Traum vom Landgang auf Südgeorgien gekostet hätte.


Ich musste noch einmal auf Toilette. Wahrscheinlich war ich einfach zu nervös, weil man beim Landgang keinesfalls die Natur wässern darf, sondern in diesem Fall zurück zum Schiff muss. Also steuerte ich die Toilette in der Nähe des Grand Salons an und als ich diese verließ, übersah ich die mehrere Zentimeter hohe Kante unten in der Tür, blieb hängen und flog durch die Luft auf den Gang. Ich hatte unglaubliches Glück, dass ich nicht mit dem Kopf an eine Wand oder Kante schlug, so schmerzte von dem Aufprall nur ganz heftig trotz recht guter Polsterung meine linke Schulter und mein rechtes Knie. Mir wurde leicht unwohl und da ich merkte, dass sich mein Kreislauf meldete, blieb ich kurz liegen. Passagiere für die erste Zodiac-Tour gingen einfach an mir vorbei, ohne zu helfen. Dann sah ich meinen Mann von ganz hinten anlaufen und ein Crewmitglied, die mir aufhalfen. Humpelnd ging ich dann Richtung Grand Salon, wo unsere kleine Reisegruppe (unsere beiden Tischnachbarn und das Hamburger Paar) besorgt nachfragte, wie es mir ginge. Ich hatte noch Schmerzen, aber diesen Landgang wollte ich mir nicht entgehen lassen. 


Nach einiger Zeit ließen dann die Schmerzen nach, aber als Erinnerung hatte ich die nächsten Tage noch lieblich anzusehende blaue Flecken und ein dickes Knie. Aber sollte ich mich dadurch vom Landgang abhalten lassen? Sir Shackleton und seine Crew hatten ungleich Schlimmeres durchgestanden. Ich war ganz einfach nur tollpatschig.

Im Grand Salon wurden wir alle abgesaugt und dann ging es mehrere Stockwerke Decks im Schiff nach unten, wo eine Gangway nach draußen führte. Nur noch hier hinunter und irgendwie sicher bei nicht allzu schlimmem Wellengang ins Zodiac hinein, was mir dann auch ohne weitere Zwischenfälle gelang. 


Am Vortag wurde uns beim Briefing auf den heutigen Tag mehrmals höchst eindringlich gesagt, dass wir uns bei der Anlandung in Fortuna Bay nicht am Strand und im nahen Küstenbereich aufhalten, sondern umgehend und auf direktem Weg entlang des anzeigten Pfades bis zur Kolonie der Königspinguine durchgehen sollen. Ich weiß nicht, wie oft das gesagt wurde, aber einige Mal, unter anderem hieß es auch: „Lassen Sie das Kleinzeug am Strand links liegen und gehen durch“. Okay, wir hatten das verstanden und würden es so machen. 


… aber von wegen, schnell wurde uns klar, warum uns das so eindrücklich während des Vortrages gesagt wurde. Schon aus dem Zodiac sahen wir die unglaublich vielen Tiere im Wasser und am Strand. Hier stellten wir auch gleich fest, dass weder die Pinguine noch die Seelöwen das IAATO-Briefing absolviert hatten. Überall waren sie und etwas übertrieben gesagt, musste man schon beim Aussteigen aufpassen, dass man nicht auf eines der Tiere trat. 


Natürlich sind wir nicht direkt durchgegangen, zu fasziniert waren wir von dieser Tierwelt, überall Königspinguine und Seelöwen, ausgewachsen und Babies, sogar ein weißes sahen wir. Die Menge an Tieren, das Kommen und Gehen aus dem/ins Wasser, es war einfach unglaublich. Die Lektoren sagten uns, wir sollen durchgehen, weiter hinten sei die Kolonie. 

Könnte es noch besser werden? Kaum vorstellbar. Wir liefen also weiter, gute 15 bis 20 Minuten, ständig darauf achtend, dass man nicht einem dieser Tiere in die Quere kam, denn sie achteten nicht auf uns. Aber wer sollte es ihnen auch übel nehmen, ohne absolviertes IAATO-Briefing? Die Fotoapparate klickten und klickten, die Schmerzen vom Sturz waren längst vergessen, und ich war überwältigt, kaum vorstellbar, dass dieses Gefühl gesteigert werden könnte. Aber dann, als ich auf die riesige Kolonie blickte, verspürte ich dieses unglaubliche Glücksgefühl, das mir Tränen in die Augen trieb. Meine Erwartungen an Südgeorgien wurden bereits am Strand erfüllt und jetzt übertroffen. 

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Eine fünfstellige Anzahl Königspinguine stand dort ganz nah zusammen, überall um uns herum liefen sie. Einige noch in der vollen Mauser und vollem Flaum, andere strahlten in ihrem sauberen Kleidchen und wieder andere hatten eine Mischung aus beidem, was sehr oft dermaßen lustig aussah, dass wir beim Anblick jedes Mal nur laut lachen konnten. Es war einfach nur wundervoll, diese Tiere, von denen jeder Pinguin seinen eigenen Charakter hat, zu beobachten. Von mir aus hätten wir an diesem Platz für den Rest der Reise bleiben können. Egal, wie sehr mich Mr. Seasick bisher geärgert hatte und wer weiß, wie sehr er mich noch ärgern würde, alleine die Fortuna Bay ist jegliche Mühe und Kampf mit diesem unerwünschten Mr. bereits wert! 

Rückblickend gesehen, jede Pinguinkolonie, die ich bisher schon gesehen hatte (und glücklicherweise war es mir vergönnt, bisher schon einige gesehen zu haben), konnte man schon bei der Anlandung dazu dem Vergleich nicht standhalten und damit möchte ich diesen Pinguinen keinesfalls Unrecht tun. Aber unwillkürlich muss ich einfach diesen Vergleich ziehen, um dieses Erlebnis noch besser einordnen zu können. 

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Für später am Tag stand noch ein weiterer Landgang in der Stromness Bay auf dem Programm.


Zurück in der Kabine pellen wir uns erst einmal aus unser „Expeditionskleidung“ und stellen fest, dass es uns teilweise sogar recht warm geworden war. Danach hieß es erst einmal im Kampf gegen Mr. Seasick dem Magen ein wenig Arbeit zu geben und so schritten wir der zweitgrößten Gefahr nach der Badezimmertür mutig entgegen und gingen zur Kalorienzufuhr. Es war Zeit für das leckere Mittagessen. Die Zodiacs wurden währenddessen geschwind verladen und wir legten ab mit Kurs Richtung Stromness Bay. Hier sollte es heute für uns den zweiten Landgang geben. 


Das Anlaufen in der Stromness Bay verfolgten wir vom Deck. Links lagen die Reste der alten Walfangstation, die man nicht betreten darf. Höchste Asbestgefahr! Den Tieren hat es wohl niemand gesagt, denn sie tummelten sich überall zwischen den alten Gebäuden und den Resten aus einer grausigen Zeit. Wenn sich jemand fragt, warum die Walfangstationen nicht zurückgebaut werden, tja, das liebe Geld. 



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Stromness Bay ist dem eingefleischten Fan von Sir Ernest Shackleton möglicherweise ein Begriff. Nachdem er und seine fünf Gefährten, die mit ihm die Überfahrt in einem winzig kleinen Boot über das Südpolarmeer geschafft hatten und auf der anderen Seite Südgeorgiens auf Land trafen, machten sich Sir Ernest Shackleton, Kapitän Worsley und Thomas Crean, der 2. Offizier, auf den Fußmarsch, die Insel zu durchqueren. Auch kein einfaches Unterfangen, Gletscher galt es zu bewältigen, Berge zu erklimmen und sich entlang vereister Wasserfälle einen Weg zu bahnen, um dann nach unzähligen Stunden endlich die für sie rettende Walfangstation in der Stromness Bay zu erreichen.

Unsere Anreise war auch hier ungleich komfortabler. Im Michelin-Männchen-Look bestiegen wir wieder das Zodiac, um an das Ufer gefahren zu werden. Schon von Weitem erkannten wir wieder viele Robben, Königspinguine und Eselspinguine. Letztere hatten wir in der Fortuna Bay nicht gesehen. Einfach nur herrlich, auch wenn hier die Tierwelt nicht ganz so zahlreich war wie in der Fortuna Bay, aber immer noch sehr eindrucksvoll und bei mir ein Glücksrausch nach dem anderen auslösend. Über einige Bachläufe liefen wir Richtung eines kleinen Sees, wo sich Seeelefanten tummelten. An einem Bachlauf dorthin tat ich es den Pinguinen gleich, die wir noch kurz zuvor lächelnd beobachtet hatten. Ich rutschte weg und versank recht tief im Schlamm, so wie es einer Gruppe der Frackträger zuvor an einer anderen Stelle erging. Ich hatte mich schon voll und ganz der heimischen Tierwelt angepasst. 

Am Abend fuhren wir noch weiter bis Grytviken, wo wir über Nacht ankerten, bevor es dort morgen zum nächsten Landgang gehen sollte.

Es war ein wundervoller Tag, der meine sehr hohen Erwartungen an Südgeorgien noch übertroffen hat. 


Ja, und was machte heute Mr. Seasick?

Was soll ich sagen, mein erster Tag ohne Reisetablette. Ich hatte es heute Mr. Seasick auf ganzer Breite gezeigt! Mr. Seasick, wer ist das bitte? Ein voller Punkt für mich!


Mr. Seasick – ich = 2:7


Tag 10 – Südgeorgien (Anlandung Grytviken und Drygalski Fjord)

Windstärke: auf Reede vor Grytviken, recht ruhig, Windstärke 11 beim Drygalski Fjord

Seestärke: keine Angabe, etwas Seegang

Temperatur: bis 7° Celsius, wechselhaft

Sonnenaufgang: 04:15 Uhr, Sonnenuntergang: 21:02 Uhr


Die Nacht haben wir auf Reede in der King Edward Bucht vor Grytviken verbracht. Für den Landgang im größten – und zugegebenermaßen einzigen – Ort auf Südgeorgien war unsere Gruppe heute die erste, die an Land durfte. Wir wurden vorgewarnt, dass sich die Tiere bei der ersten Gruppe hier möglicherweise etwas aggressiv verhalten könnten. Uns wurden einige Vorsichts- und Verhaltensregeln mit auf den Weg gegeben. Es könne auch durchaus vorkommen, dass manche Robben sich nur mit uns paaren wollen … eine Aussicht, die ich jetzt nicht so prickelnd fand. Das Interesse der Tiere lässt dann aber meist schon bei der zweiten Gruppe nach. Prima, heute erste Gruppe und dann solche Verlockungen. 

Morgens haben wir schon vom Schiff aus die Bucht angeschaut, in der Grytviken liegt. Links von uns lag der Friedhof, unterhalb dessen unser Zodiac anlanden würde. Nicht weit davon entfernt stehen die ersten Gebäude und Gerätschaften der alten Walfangstation. In Grytviken – anders als in der Stromness Bay - darf man diese jedoch betreten, da hier alles von Asbest befreit wurde und man die Erinnerung als Mahnung an diese Zeit aufrecht erhalten will. Ein stummer Zeuge dessen, was hier der Natur angetan wurde. Es ist interessant und erschreckend zugleich, hautnah vor Ort zu sehen, wie sich damals alles abgespielt haben muss. Hier soll es seinerzeit so viele Wale gegeben haben, dass die Walfänger in den ersten drei Jahren die Bucht überhaupt nicht verlassen mussten, eigentlich unvorstellbar, dieser Tierreichtum … hoffentlich wird es bald erneut eine Zeit geben, in der die Bucht wieder voll von Walen sein wird. Aber nicht nur das ist ein Problem auf Südgeorgien, auch die eingeschleppten Pflanzen, die hier nicht hingehören oder die Ratten, die ein besonders großes Problem für bodenbrütende Vögel darstellen. Die Ratten werden seit ein paar Jahren bekämpft und einige Gebiete der Insel gelten mittlerweile als frei von Ratten. Erst vor kurzem habe ich im Fernsehen eine sehr interessante Dokumentation über diese Aktion zur Bekämpfung der Ratten gesehen. 


Südgeorgien gehört zu Großbritannien und hat 6 Einwohner, allesamt wohnhaft in Grytviken. Im Sommer kommen noch einige Wissenschaftler hinzu, die in Unterkünften wohnen, die man vom Schiff aus rechts liegend sehen konnte. 


In etwa in der Mitte der Bucht liegt das Museum, das wir uns auf alle Fälle anschauen wollten sowie etwas weiter zurück versetzt die kleine, wirklich hübsche, weiß gestrichene Kirche. Grytviken wurde 1904 gegründet und es gab hier damals auch ein Kino und ein Fußballfeld; letzteres kann man immer noch sehen. Im Hafen liegen gesunkene Walfangschiffe … und überall tummeln sich Robben, Seeelefanten und Königspinguine. Die Tierwelt hat sich scheinbar arrangiert und holt sich wieder ihren Lebensraum zurück. Auf mich wirkt die ganze Szenerie faszinierend und surreal zugleich. Man muss es gesehen haben. 


Wir fahren mit dem Zodiac zu der Anlandestelle, die etwas unterhalb des Friedhofes liegt. Direkt neben dem Zodiac planschen die Robben und ein Seeelefant schwimmt ganz nah nebenher und bleibt auch beim Anlanden ständig ganz neugierig beim Boot. Einfach nur süß, wie sein Kopf hin und her schwingt und uns fest im Blick behält. 

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Hier ist es auf alle Fälle unmöglich, die Mindestabstände einzuhalten. Die Tiere interessiert es rein gar nicht und wir haben überhaupt keine Möglichkeit, soweit auf Distanz zu gehen, da wir uns immer wieder umzingelt fühlen. Zuerst gehen wir zum Friedhof, der umzäunt ist. Wir müssen schauen, dass wir schnell durch die Tür gleiten, ohne dass nicht noch eine Robbe mit hineinschlüpft. 


Hier auf dem Friedhof fand Sir Ernest Shackleton seine letzte Ruhe, ebenso Frank Wild, der an vielen britischen Antarktisexpeditionen teilgenommen hat, so auch an der Endurance Expedition. Man findet hier auch die Grabstätte eines Argentiniers, der im Verlauf des Falklandkrieges auf Südgeorgien umkam, die Todesursache lautet: versehentlich erschossen. Mir war bis zu unserer Reise nicht bewusst, dass auch der Falklandkrieg auf Südgeorgien seine Spuren hinterlassen hat, nur ging es hier um einige Stunden und die Engländer hatten die Lage für sich entschieden.

Danach gehen wir durch die alten Anlagen, immer im Zickzackkurs und auf der Hut vor paarungswilligen Robben. Einige Seeelefanten haben es sich mitten auf dem Weg bequem gemacht, ohne sich auch nur im Geringsten für uns zu interessieren. 

An alten Tanks vorbei gehen wir weiter zur Kirche, in der dazu eingeladen wird, die Glocke zu läuten.

Im winzig kleinen Laden kaufen wir Postkarten und Briefmarken, die einige Wochen später tatsächlich zuhause ankommen werden. Danach besuchen wir das Museum, wo ein Nachbau des Bootes steht, auf dem Shackleton mit fünf Männern aus der Endurance Expedition die Überfahrt über das Südpolarmeer von Elephant Island nach Südgeorgien gelang. Groß staunend stehen wir vor dem kleinen Boot und fragen uns, wie diese Überfahrt gelungen sein konnte und welch Mut dazu gehört haben muss, diese überhaupt in dem wahrscheinlich gefährlichsten Meer unseres Planeten zu wagen. Eine unglaubliche Leistung!

Nach einer ausgiebigen Besichtigung steigen wir wieder in ein Zodiac, das uns zurück zum Schiff bringt. 


Nachdem auch die letzte Gruppe vom Landgang an Bord zurückgekehrt ist und die Zodiacs verladen sind, fahren wir weiter Richtung Drygalski Fjord - unserem letzten Besichtigungspunkt auf Südgeorgien, bevor es übers Südpolarmeer mit Kurs auf die Süd-Shetland Inseln weiter gehen wird. 

Wenn man auf die Karte Südgeorgiens schaut, stellt man schnell fest, dass der Drygalski Fjord am unteren Ende der Insel liegt. Man könnte es wohl am besten mit „am Zipfel des südöstlichen Endes“ beschreiben. 


Die Fahrt wird zusehends wackeliger. Der Profi, der öfter in diesen Gebieten unterwegs ist, hat dafür sicherlich nur ein müdes Grinsen übrig. Mir hingegen wird schon leicht blümerant und ich greife in weiser Voraussicht zu einer Reisetablette. 


Entlang der Küste Südgeorgiens mit herrlichen Ausblicken auf Gebirge, Gletscher und die tiefblaue See kommt auch schon bald ein größerer Eisberg in Sicht. Zu meinem Leidwesen wird der eisige Wind immer heftiger, währenddessen die See im Vergleich dazu noch recht ruhig ist. Das Schiff stampft bereits leicht dem Drygalski-Fjord entgegen. Mittlerweile halten wir uns an Deck fest, um nicht weggeweht zu werden. Die Stimme durch den Lautsprecher verkündet Windstärke 11 und informiert darüber, dass der Kapitän schauen muss, ob und wie weit er überhaupt bei diesen Bedingungen in den Fjord hineinfahren kann. Da es sich hier nur um eine Einbahnstraße handelt, muss das Schiff wieder gewendet werden, kein leichtes Unterfangen bei diesem Wind. 


Einen vergleichbaren Wind habe ich bisher nur einmal in Patagonien erlebt, wo uns die festgehaltene Autotür förmlich aus den Händen und beinahe aus der Befestigung gerissen wurde. 


Wir fahren ein Stück in den Fjord hinein, erspähen einiges in dieser eisigen Welt, bevor die Stimme durch den Lautsprecher uns wissen lässt, dass wir jetzt aus Sicherheitsgründen wieder wenden müssen. Es folgt ein wahres Schauspiel, wie sich die MS Delphin kunstvoll in diesem Wind langsam, aber kontrolliert in die entgegengesetzte Fahrtrichtung dreht. 

Wir verlassen Südgeorgien und steuern der antarktischen Halbinsel entgegen. Mit dem Besuch dieser Insel habe ich mir einen lang gehegten Traum erfüllt, und ich bin unendlich dankbar, dass dieser Wirklichkeit geworden ist. 


Der Tagesbericht wäre nicht vollständig, würde ich nicht von dem heutigen Ausgang des Punkte-Verhältnisses eines gewissen Mr. Seasick und mir berichten. Morgens ging es mir ganz gut, auf Land ohnehin. Aber schon auf der Weiterfahrt musste sich Mr. Seasick wieder in den Vordergrund drängen. Ich gebe uns beiden heute ein Unentschieden. Vielleicht ein wenig großzügig, da er mir abends und nachts leider wieder mehr Kummer bereitete, aber zu leicht will ich es diesem Kerl auch nicht machen.


Mr. Seasick – ich = 3:8


Tag 11 – Seetag mit Kurs auf die Süd-Shetland Inseln

Windstärke: 4

Seestärke: 4

Temperatur: bis 5° Celsius, teils heiter, teils wolkig

Sonnenaufgang: 04:16 Uhr, Sonnenuntergang: 22:00 Uhr


Zwei Seetage durch raues Gewässer liegen vor uns, und wie soll ich diese am besten beschreiben? Das Treffendste ist wohl: Die Rückkehr des schon besiegt geglaubten Mr. Seasick.


Wind- und Seestärke liegen am heutigen Tag von der reinen Ziffer her gesehen, nämlich jeweils 4, gar nicht so hoch. Aber die Wellen kommen ungünstig und nicht lange, nachdem wir das Gebiet um Südgeorgien verlassen haben, wird mir immer übler, irgendwann geht gar nichts mehr, ich eile ins Bad und muss mich übergeben. Da war ich wohl zu voreilig und hatte schon mit einem eindeutigen Sieg über Mr. Seasick gerechnet, aber weit gefehlt. Jetzt helfen gegen die Übelkeit erst einmal vom Bordarzt erhaltene Zäpfchen. Trotz Mr. Seasick verspüre ich aber immer noch Glücksgefühle, sobald meine Gedanken zu Südgeorgien zurückwandern. 


Leider ist der Tag nicht besser, ich kämpfe mit der Übelkeit, zu lange draußen kann ich auch nicht bleiben, hin und wieder gehen wir raus und beobachten die Tierwelt, wenn sich etwas blicken lässt. Das Mittagessen fällt für mich aus. Zum Abendessen werde ich von meinem Mann mit Zwieback und Tee versorgt. 


So gerne würde ich den einen oder anderen, sicherlich sehr interessanten Vortrag besuchen, aber im Grand Salon würde ich es jetzt nicht aushalten. 


Objektiv betrachtet, auch im Hinblick darauf, dass ich mich übergeben musste, hat Mr. Seasick heute doppelte Punkte eingefahren …


Mr. Seasick – ich = 5:8


Tag 12 – Seetag und Passage Elephant Island

Windstärke: 3

Seestärke: 5

Temperatur: bis 3° Celsius, wechselhaft

Sonnenaufgang: 03:33 Uhr, Sonnenuntergang: 22:08 Uhr


Heute geht es mir wieder dank Zäpfchen besser, zumindest muss ich mich nicht mehr übergeben. Frau ist ja gar nicht mehr so anspruchsvoll und erfreut sich auch an kleinen Fortschritten … 


Um die Mittagszeit sehen wir die ersten Ausläufer der antarktischen Halbinsel. Wir passieren Elephant Island, wo Sir Ernest Shackleton so lange mit seiner Mannschaft überlebte, ohne einen einzigen seiner Männer zu verlieren. Auch der blinde Passagier, mittlerweile Steward, der sich sicherlich die Reise anders vorgestellt hatte, überlebte im Kreis der Mannschaft. Von diesem Flecken Erde wurden dann – nach der erfolgreichen Überfahrt der sechs Männer nach Südgeorgien – die 22 Männer, die noch auf Elephant Island ausharrten, gerettet. Auf der Insel wurde ein Denkmal von den Chilenen errichtet im Andenken an Luis Pardo, dem Kapitän der Yelcho - das Schiff, das die Mannschaft wieder zurückholte.


Immer wieder ertappe ich mich dabei, welchen Respekt ich davor habe, was diese Männer hier vor gut einem Jahrhundert geleistet haben angesichts dieser für uns so lebensfeindlichen Umgebung … und wir sind im Sommer hier. 


Im Laufe des Tages habe ich den Eindruck, dass die Lektoren irgendwie immer auf dem Sprung zu sein scheinen, wenn wir ihnen begegnen. Mein Eindruck soll mich nicht getäuscht haben, denn beim Recap und der Vorschau auf den morgigen Tag sollten wir Näheres erfahren. 


Diese tägliche Zusammenkunft fällt heute relativ kurz aus, denn uns wird eine Programmänderung mitgeteilt. Wir haben einen Notfall an Bord und die erkrankte Person muss evakuiert werden. Auf dem Schiff gibt es eine Krankenstation und auf dieser Reise ist neben dem Schiffsarzt noch ein weiterer Arzt anwesend, aber die Erkrankung scheint so schlimm, dass versucht wird, die Person in ein Krankenhaus nach Punta Arenas auszufliegen. 


Wir hören das und sind sofort wieder gedanklich bei Herrn Appendix in Afrika. Soweit es überhaupt möglich ist, uns in die Situation hinein zu versetzen, hoffen wir nur sehr, dass alles mit der Evakuierung klappen wird. Unsere Empathie in diesem Falle, die wir sicherlich auch schon früher hatten, ist aber noch einmal um ein Vielfaches geschärft durch unsere Erfahrung auf unserer vorherigen Reise. Neben der unglaublichen seelischen Belastung muss jetzt auch noch der ganze logistische Aufwand einer Evakuierung organisiert werden und das zudem in dieser Region. Gut, wenn man dann Menschen um sich hat, wie jetzt hier auf der MS Delphin, die einem helfen und wissen, was zu tun ist.


Der Plan ist, dass wir nachts auf Reede vor Bellinghausen auf King George Island gehen werden, wo dann ein Flugzeug aus dem chilenischen Punta Arenas eintreffen soll, um die Evakuierung durchzuführen. Auf King George Island existieren verschiedene Forschungsstationen unterschiedlichster Nationen. In der Bucht, wo wir auf Reede gehen werden, gibt es zwei Forschungstationen recht nah beieinander, Bellinghausen (Russland) und Eduardo Frei (Chile) und zum großen Glück gibt es hier auch eine Landebahn für Flugzeuge. 


Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass unser erster geplanter Landgang auf Half Moon Bay aller Voraussicht nach aus zeitlichen Gründen aufgrund der Evakuierung ausfallen wird. Für uns ist das jedoch selbstverständlich, denn in solch eine Notlage kann jeder geraten und wer ist dann nicht heilfroh, wenn ihm geholfen wird? Leider sehen das einige wenige Mitreisende scheinbar anders als wir und finden es überhaupt nicht gut, dass sie zugunsten der Evakuierung eine Programmänderung hinnehmen müssen.


Den Landgang einfach später nachzuholen geht nicht, denn lange im Voraus muss angemeldet werden, welches Schiff, wann und wo anlandet. Dies ist alles in diesem fragilen Ökosystem streng geregelt.



Mit dem Gedanken an die erkrankte Person und der Hoffnung, dass alles gut ausgehen wird, gehen wir zu Bett. Dagegen ist meine heutige Niederlage gegen Mr. Seasick nur der Form halber erwähnenswert. Ein Punkt geht heute an Mr. Seasick.


Mr. Seasick – ich = 6:8



„Wer die Abenteuerlichkeit des Reisens ins Blut bekommt, wird diese nicht wieder los.“   - Bruno H. Bürgel

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